Samstag, 14. Januar 2012

Froh, zu leben!

Im Laufe der Zeit wurde aus dem apathischen Baby ein ganz normales Mädchen mit ganz normalen Fähigkeiten.
Mein Bruder und ich sind trotz negativen Prognosen, betreffend unserer Gesundheit und Fähigkeiten, nicht mehr oder weniger behindert geworden, wie jeder andere normale Mensch auf dieser Welt.
Hut ab vor meinen Eltern, dass sie uns bei sich aufgenommen haben, obwohl ihnen bewusst war dass wir evtl. den Rest des Lebens von ihnen abhängig gewesen wären.

Kleiner Einschub an die Leser: Woher hat jemand, der ein Kind abtreibt, auf Grund einer negativen Prognose oder einer ausweglosen Lebenssituation, die Gewissheit, dass dieses Lebewesen nicht doch ein lebenswertes Leben führen wird?
Ich bin froh, dass es mich gibt und dies ist nicht selbstverständlich! Mein Leben IST lebenswert!



Freitag, 13. Januar 2012

Aller Anfang ist schwer

Als mein Bruder zwei Jahre alt war, erklärte ihm meine Mutter, dass er im Bauch einer anderen Frau seine ersten paar Monate verbrachte, bevor er zur Welt kam, weil sie keine Kinder in ihrem Bauch haben kann.
Da hat er anscheinend angefangen zu schreien und weinen. War es die falsche Entscheidung, ihm die Wahrheit bereits in dem Alter zu sagen?!?
Als er sich etwas beruhigt hatte, kam aus ihm heraus, dass er so wütend war, weil er nicht in ihrem Bauch gewesen ist, sondern in dem einer fremden Frau.
Etwa zur gleichen Zeit kam ich, im Alter von drei Monaten, als apathisches Baby in diese Familie. Aufgedunsen wie ein kleiner Dekor-Buddha und irgendwie in meiner eigenen Welt versunken.

Meine leibliche Mutter konnte auf Grund ihrer starken Epilepsie die Medikamente während der Schwangerschaft nicht absetzen. Also startete ich mein Weg in mein neues Leben mit einem Entzug, losgelöst von der einzigen mir vertrauten Person, mit einem Invalidenausweis in der Tasche und der Prognose vom Kinderarzt, ein behinderter Mensch zu werden.

Ich kam vorübergehend in eine Pflegefamilie, die mich liebevoll aufnahm bis alle Details betreffend meiner Adoptionsfamilie und -papiere geklärt waren.
Ich war nur drei Monate dort, musste aber bleibende Eindrücke hinterlassen haben... als meine Mutter und ich diese Familie nach zwanzig Jahren einmal besuchen gingen, war mein Geburtstag immer noch in deren Kalender eingetragen...

Donnerstag, 12. Januar 2012

Ein Blick zurück

Meine Kindheit verlief durchschnittlich normal.
Grossgeworden in einer vierköpfigen Familie, besserer Mittelstand (wag ich jetzt mal zu behaupten) in einem Reiheneinfamilienhaus, ländliche Gegend, jedoch stadtnah.
Mein Vater arbeitete tagsüber als Fernmeldeingenieur bei einer Telefongesellschaft. Abends war er vor dem Fernseher oder hinter der Zeitung zu finden.
Meine Mutter arbeitete Teilzeit in verschiedenen Berufen, mal in der Bank, mal in einer Schule, irgendwie sind mir die Details dazu abhanden gekommen. War sie zu Hause, war sie uns eine strenge, aber gute Mutter, die uns zu selbständigen und selbstbewussten Menschen erzog.
Klassisch für die damalige Zeit war die Emanzipation meiner Mutter, die Wichtigkeit, selber arbeiten zu gehen, und gleichzeitig das tiefe Feststecken in den alten Mustern. Mein Vater hielt sich aus der Erziehung und dem Haushalt raus, ermöglichte meiner Mutter aber ein bequemeres Dasein durch die Finanzierung eines Au-pairs oder später einer Putzfrau. Oder hat sich dies meine Mutter selber finanziert?

Mein Bruder und ich besuchten eine Privatschule, antrophosofischer Natur. Wir spielten ein Instrument, wurden mit Vollkornnahrungsmittel aus dem Reformhaus ernährt, trugen ökologisch vertretbare Kleidung, hatten ausschliesslich pädagogisch wertvolle Spielsachen und unsere Haustiere. An Wochenenden machten wir mit Vater eine Radtour, gingen segeln oder bauten irgendetwas in der Werkstatt zusammen.
Körperliche und entwicklungstechnische Defizite wurden gezielt mit Logopädie, Heileuritmie und anderen möglichen Therapien behandelt.
Auch die Ferien liessen keine Wünsche übrig. Im Winter war Skifahren in den Bergen angesagt, im Sommer Badeferien in Dänemark, dem Heimatland meiner Mutter. Im Herbst und Frühling wurden unsere Ferientage mit campieren, wandern oder segeln ausgefüllt. Meisstens war nur ein Elternteil dabei, zumindest später, als sich meine Eltern nicht mehr so warm waren, wie zu Beginn ihrer Beziehung.

Aus heutiger Sicht durchschnittlich. Doch ist dabei nicht zu vergessen, dass die ganze Bio-, Öko-, Eso-, und Fördererziehung erst seit kurzem die ganze Gesellschaft infiziert hat. Damals waren wir doch eher exotische Spezies in dieser Hinsicht.

Mittwoch, 11. Januar 2012

Vergiss nie

"Vergiss nie, woher du kommst" lese ich an der verkritzelten Klotüre der Schule für Gestaltung, während ich mein Geschäft verrichte. Die Beschäftigung, der ich gerade nach gehe, lässt mir Zeit, über diesen Satz nachzudenken und ich vermute wage, dass er mir immer wieder eine Realität vor Augen führt, die ich nur halbwegs wahrhaben möchte.
Wie soll ich es vergessen, wenn ich es nie gewusst habe? ... Der dunkle Fleck in meinem Leben, über den nur eine Akte in Vaters Safe Auskunft geben kann. Ein dickes gelbes Couvert, in dem genau dieser Satz beantwortet wird. Ich kenne dessen Inhalt noch nicht und bin auch noch nicht bereit dazu, ihn kennen zu lernen.